Motortuning ja! Aber wie?

Motortuning ja! Aber wie?
(Grundlagen)


Dr. Harald Wozniewski
Karlsruhe 1998

Von den Wirren der Trimmregeln Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden Die Wirkung von Wind und Segel Folgerungen Halten wir fest

Von den Wirren der Trimmregeln

Über Segel- und Masttrimm ist schon viel geschrieben und noch mehr geredet worden. Es gibt eine Fülle von Handlungsanleitungen darüber, mit welchen Maßen der Mast in das Boot zu stellen sei, damit er "optimal" steht (Mastfußposition, Mastfall, Salingslänge und -winkel, Wantenspannung usw.). Es gibt auch Anleitungen dazu, wie der "Fockschotwinkel" sein müsse oder wie die "Düse" oder der "Twist" auszusehen habe (z. B. http://www.fritz-segel.de/service/pdf/korsartrimm2002.pdf). Den Neuling beim Regattensegeln beeindruckt solches "Wissen", und der alte Hase "weiß Bescheid". Die Liste solcher Regeln ist lang, aber keineswegs immer richtig oder brauchbar. Brauchbar sind solche Anleitungen schon immer dann nicht, wenn sie einen von Wichtigerem bei der Regatta ablenken und man vor lauter Trimmregeln keine Zeit mehr für Taktik und Windbeobachtung (vgl. Theorie des Kompasssegelns) findet. Wer solche Trimmanleitungen ernst nimmt und - auf eine ganze Wettfahrt verteilt - seine Gedanken mehr als eine Minute darauf konzentriert, wird die wirklichen Chancen in der Wettfahrt nicht erkennen und - verpassen. Als weiteres abschreckendes Beispiel möchte ich den Artikel in http://www.int505.de/berichte/505pinel.rtf (Der Artikel ist inzwischen aus dem Internet verschwunden) oder in http://www.trainingslager.frankfurter-yachtclub.de/downloads/420_Tuning_Guide_von_North_Sail.pdf über Segeltrimm anführen, wobei ich betone, dass die Auswahl zufällig ist und auch manchen anderen Aufsatz hätte treffen können. Mein Rat vorweg: Vergessen Sie schnellstens solche Trimmanleitungen! Manch einer beschäftigt sich während der Wettfahrt mit Unwichtigem und übersieht dabei die Chance, ein paar Plätze wieder gut zu machen.

Wie aber kann man Richtiges von Falschem und Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden?

Zunächst gilt es, sich ein klares Bild von dem "Motor" des Bootes zu machen. Viele Tätigkeiten, seien es Trimm oder Manöver, werden häufig ohne genügend Aufmerksamkeit auf den Motor gemacht. Ein Manöver an der Leetonne, bei dem das Vorsegel schon dicht gezogen ist, während das Boot noch anluvt, ist ein schlechtes Manöver, denn es "würgt den Motor ab". Wer unter Spi die Fock wegrollt, obwohl sie trägt, oder wer seine Segel zu dicht fährt, stellt einen "Zylinder" seines Motors ab. Ein killendes Segels ist wie ein kaputter Motor.

Was also ist der Motor?

Der Motor sind die Segel und der Wind - nicht der Mast, nicht die Schot, nicht der Baum und nicht irgend welche Strippen. Nur die Segel sind wichtig! Sie müssen richtig zum Wind eingestellt werden, nicht der Mast und alles andere. Deshalb rede ich hier nicht von Masttrimm und dergleichen, sondern von Motortuning. Die Segel setzen die Kraft des Windes in Antrieb um. Alles andere ist mehr oder weniger unwichtiges Hilfsmittel für die Segel. Um diese Hilfsmittel richtig einsetzen zu können, braucht man den richtigen Blick für den Motor.

Der richtige Blick

Jeder kennt die Zeichnungen von einem Segelquerschnitt aus der Draufsicht, wo der Wind um das Segel streicht. An dieser zweidimensionalen Betrachtung ist etwas sehr Wichtiges, was leider häufig beim Segeltrimm übersehen wird: Die Wirkung von Wind und Segel spielt sich tatsächlich nur in "annähernd" horizontalen Ebenen ab. Deshalb muss man in den (horizontalen) Ebenen denken und handeln, in denen sich die jeweiligen Luftanteile von ihrem Eintreffen am Vorliek bis zu ihrem Passieren des Achterlieks bewegen.

Es ist aber nicht so, wie man bei der Betrachtung eines Segelschnittes meinen könnte, dass die Wind- und Segelbedingungen in allen Ebenen dieselben wären, so, als ob man sich den Segelquerschnitt lediglich nach unten bzw. oben erweitert vorstellen bräuchte. Nein, jede einzelne Segelebene von der untersten bis zur obersten hat ihren eigenen Wind, der (fast) unabhängig vom Wind darüber und darunter auf das Segel wirkt. Wenn wir also das dreidimensionale (!) Segel trimmen, stellen wir uns am besten viele einzelne Segelquerschnitte in horizontaler Lage vor, die übereinander gestapelt sind. Erst dann fangen wir an, jede einzelne Segelebene möglichst so zu trimmen, dass sie für ihre Windverhältnisse richtig eingestellt ist. Eine häufig anzutreffende Betrachtungsweise sollte man in jedem Fall vermeiden: Man soll nicht eine Achterliekskurve (Twist) oder die Mastbiegung begutachteten; denn dann verfolgt man Trimmregeln, die mit der Wirkung von Wind und Segeln unmittelbar gar nichts zu tun haben. Mastbiegung und Twist sind Bedingungen, die nur vertikal existieren und die selbst keinen Einfluss auf die Umsetzung von Wind- in Segelkraft haben. Mit anderen Worten: Ob der Mast biegt oder ob das Segel twistet, ist dem Wind völlig gleichgültig; er muss auf der horizontalen Ebene, in der er sich bewegt, optimale Bedingungen vorfinden. Ob der Twist oder die Mastbiegung stark oder schwach ausgeprägt sind, ist immer nur von sekundärem Erkenntniswert. Es sagt nichts darüber aus, ob der Wind vom Segel maximal ausgenutzt wird. Man soll sich auf die Wirkung des Windes auf das Segel konzentrieren, und die vollzieht sich in horizontalen Ebenen. Demgegenüber wird z. B. in der oben angeführten Trimmanleitung von Fritz Segel das Wort Twist 19 Mal (!) gebraucht, um dem "Gläubigen" dessen "Wichtigkeit" klar zu machen.

Wie muss ich mir die Wirkung von Wind und Segel also in der Horizontalen richtig vorstellen?

Indem das Segel den Wind in eine andere Richtung lenkt oder "auffängt", überträgt es dessen Kraft auf das Boot. Wir haben gelernt, dass der Wind in Lee nicht verwirbeln soll. In vielen Segelbüchern ist dazu etwa zu lesen: "Durch den längeren Weg, den die Luftteilchen auf der Rückseite des gewölbten Segels zurücklegen, müssen sie schneller fließen, und es entsteht ein Druckunterschied und somit ein Schub der Luvseite und ein Zug auf der Leeseite des Segels, wenn die Windströmung überall am Segel weich und gleichmäßig anliegt." Dies ist Unsinn und verwechselt Ursache und Wirkung. Unsinnig ist, dass der Wind in Lee ziehen würde. Die Luft kann nicht wie etwa eine Leine ziehen, sie kann nur drücken. Stellen wir uns die Luft bzw. den Wind als eine Unmenge von Tennisbällen vor, die in horizontalem Flug einem Segel begegnen. Was passiert? In Luv treffen sie auf das Segel, stoßen es an und übertragen dadurch ihre Energie. In Lee aber zieht nicht ein einziger Ball am Segel. Die Bälle, die nicht in Luv auf das Segel treffen, fliegen geradewegs daran vorbei, so, als ob das Segel gar nicht da wäre.

Freilich besteht ein Unterschied zur Luft. Wir wissen, dass Luft nicht geradewegs am Segel vorbei fliegt, sondern dass sie der Segelkrümmung folgt oder hinter dem Segel verwirbelt. Was unterscheidet den "Wind" aus Tennisbällen von dem Wind aus Luft? Den Unterschied macht der atmosphärische Luftdruck. Wären wir im luftleeren Weltraum und würden wir dort eine Hand voll Luft auf das Vorliek eines Segels werfen, so würde sich die Luft genauso verhalten wie hier die Tennisbälle, wenn sie am Segel in Lee vorbei fliegt. Der Luftdruck sorgt dafür, dass in Lee des Segels kein Vakuum entsteht; er sorgt dafür, dass dieser Raum in Lee des Segels aus allen (!) Richtungen mit Luft aufgefüllt wird. Dies bewirkt eine Beschleunigung im physikalischen Sinne: Der Wind wird teilweise umgelenkt, vom Vorliek her wird er beschleunigt, vom Achterliek her wird er verlangsamt und aus Richtung der Segelmitte? Nun, das "Vakuum" in Lee hat den Effekt, dass die Luft in Luv das Segel besser drücken kann, als wenn das "Vakuum" nicht vorhanden wäre. Die Luftdruckunterschied ist mit einem "Vakuum" in Lee höher als ohne. Nicht die in Lee schneller fließende Luft bewirkt einen Druckunterschied, sondern der Druckunterschied bewirkt die Beschleunigung der Luft. Völliger Unsinn ist schließlich die Erklärung, dass die Luft in Lee beschleunige, "weil" sie einen längeren Weg zurücklegen müsse als die in Luv.

Warum ist es also besser, wenn der Wind in Lee anliegt als wenn er verwirbelt? Antwort: Das "Vakuum" in Lee ist größer, der Luftdruckunterschied zwischen Lee und Luv ist wesentlich höher, wenn die Strömung in Lee anliegt und nicht "abreißt".

Was bewirkt das Abreißen der Luftströmung in Lee? Wir haben gesagt, dass das "Vakuum" in Lee durch den Luftdruck der Umgebung aufgefüllt wird. Die Luft, die am Vorliek nach Lee vorbei streicht wird zuerst hinter das Segel umgelenkt, es folgt die Luft, die in größerem Abstand das Vorliek passiert. Diese umlenkende Kraft kann man sich durch folgendes Modell veranschaulichen: Der Segelschnitt wird durch ein magnetisches Band ersetzt, dem wir die gewünschte Segelkrümmung geben und das wir auf einen Tisch so stellen, dass wir von oben den Blick wie auf einen Segelquerschnitt haben. Der Wind wird nun nicht von einem Tennisball, sondern von einer Metallkugel simuliert. Die magnetische Kraft des "Segels" ist nun die Kraft, die wie der Luftdruck dafür sorgt, dass der Wind in Lee am Segel anliegt. Nun rollen wir die Kugel so am "Vorliek" des Magnetsegels vorbei, dass die Kugel in Lee von der magnetischen Kraft angezogen der Segelkrümmung folgen kann.

Folgerungen

Wenn die Kugel nicht abreißen soll, muss zunächst der "Anstellwinkel" stimmen. Die Kugel muss tangential auf das Segel treffen, d.h. parallel zu den ersten Zentimetern des Segels (siehe Skizze oben).

Passiert die Kugel im steilen Winkel das Vorliek (in Lee), so reicht die magnetische Kraft nicht aus, um die Kugel quasi um die Ecke zu reißen. Die Kugel rollt (fast) gerade aus, sie reißt von vornherein ab. Auf das richtige Segel übertragen (und zwar auf jedes Segel: Fock, Groß und Spi) heißt das: Der Anstellwinkel des Segels (in allen Ebenen!) muss annähernd Null sein.

Ist er (stark) positiv, reißt er die Strömung von vornherein ab, es kommt zu Verwirbelungen. Ist der Winkel negativ, fällt das Segel ein oder killt gar. Diese Bedingung "Anstellwinkel" muss immer an erster Stelle all unserer Trimmüberlegungen stehen, denn ein Vorliek ist der erste Kontakt des Windes mit unserem Segel.

Wenn nun der Anstellwinkel stimmt (wenn er Null ist), dann kann die Kugel dem Magnet-Segel in Lee zunächst folgen. Ob sie diese auch in weiteren Verlauf kann, hängt von zwei weiteren Bedingungen ab. Die Geschwindigkeit der Kugel und die Krümmung des Segels müssen in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Eine schnelle Kugel kann nur einer leichten Krümmung folgen, eine langsame dagegen auch einer starken Krümmung. Je stärker die Krümmung ist, desto mehr Energie wird aus dem Wind geholt - zum Vorteil der Ranglistenpunkte. Ist die Krümmung aber zu stark, reißt die Kugel/die Strömung ab. Ist der Wind schwach, kann er viel Krümmung vertragen. Ist er stark, so verträgt er nur noch wenig. Die horizontale (!) Krümmung einer jeden Segelebene steht also an zweiter Stelle unserer Trimmerei.

Wenn wir eine für die jeweilige Windstärke maximale Segelkrümmung fahren wollen, folgt hieraus weiter, dass wir dem Wind möglichst eine gleichmäßige Segelkrümmung anbieten müssen. Denn wenn der Wind vorne einen "tiefen Bauch" vertragen kann, kann er es auch hinten. Hier darf man sich nicht durch konstruktions- und sicherheitsbedingte Unterschiede zu Tragflächen von Flugzeugen irremachen lassen. Auch Segel selbst müssen vom Schnitt her so gebaut werden, dass sie zum Vorliek hin bauchiger sind als zum Achterliek hin. Während des Segelns muss sich dann der Bauch aber durch den Winddruck so nach hinten verschieben, dass eine gleichmäßige Krümmung entsteht.

Halten wir fest:

  • Alles Trimmen muss immer mit Blick auf die Wirkung von Segeln und Wind erfolgen.
  • Wir konzentrieren uns auf die (horizontalen) Segelebenen und zwar auf jede für sich.
  • Zuerst interessiert der Windeinfallswinkel (Anstellwinkel), dann die Segelwölbung. Alles andere ist unwichtig.

Das Vorliek eines jeden Segels muss in jeder Windebene gegen den (relativen, nicht geographischen) Wind zeigen. Dann muss in jeder Segelebene eine maximale und gleichmäßige Segelwölbung folgen (aber nicht so weit, dass sie nach achtern wirkt).

Wie man das alles auf die Fock/Genua anwendet, erfahren Sie in

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